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Wolfram Dix | Musiker und Weggefährte

Wolfram Dix, 1985 (Foto: H.-Christoph Bigalke)

Cäsars Rockband 1983 – die Gründungsbesetzung

Erinnerung ist wichtig, hat sie doch etwas mit „innen“ zu tun. Im Folgenden findet man meine Erinnerungen an ein kurzes und recht wildes Kapitel meines Musikerlebens. Sämtliche Abschnitte dieses Berichts sind streng subjektiv und müssen deshalb nicht unbedingt mit Schilderungen und Sichtweisen anderer Menschen übereinstimmen.

Cäsars Rockband wurde im Frühjahr 1983 gegründet. Wahrscheinlich gab es spätestens zu diesem Zeitpunkt schwere Differenzen zwischen Peter Gläser und Mitgliedern der Band „Karussell“, welche dazu führten, dass der Gitarrist und Sänger die Band verließ. Er tat sich mit „Paul“ Jürgen Dinter (g/voc) und Knut Steyer (keyb) zusammen und wollte mit diesen jungen Kollegen ursprünglich eine ganz frische Sache aufziehen.

Ungefähr zur gleichen Zeit löste sich Bernd Herchenbachs Bandprojekt „Schwarzer Pfeffer“ auf und der umtriebige Bassist, Komponist und Organisator war auf der Suche nach neuen Ufern. Bernd besaß u.a. eine große PA, einen schweren LKW, hatte sich im Keller seines Hauses in der Mainzer Straße 9 ein Studio eingerichtet und strotzte nur so vor Tatendrang.

Am 28.4.1983 kam ich von der Armee zurück. Dort hatte ich den begnadeten Pianisten Jens Erwin Stache kennengelernt und gemeinsam konnten wir beide schon auf einige chaotische Auftritte mit der Erfurter Regiments-Band zurückblicken. Nun wollten wir weiter gemeinsam Musik machen und gründeten erst mal das Jazzquartett EXU, mit welchem wir im Keller der Mainzer Straße 5 die ersten Demo-Aufnahmen mit eigenen jazzigen Kompositionen machten.

Kurz zuvor hatte uns Bernd gefragt, ob wir bei Cäsars Rockband mitspielen mochten, und wir hatten zugesagt. Nun wurde eifrig geprobt und bald entstanden in Bernds neuem Studio mit Hilfe einer analogen Achtspurmaschine die ersten Demoaufnahmen der neuen Rockband, welche bald darauf nach Berlin zum Rundfunklektorat geschickt wurden. Von dort kam dann ziemlich bald grünes Licht für die ersten Produktionen.

Da die Texte zu den Liedern noch geschrieben werden mussten, improvisierte Cäsar bei diesen Aufnahmen und auch bei unseren ersten Auftritten mit Hilfe einer seltsamen Arbeitssprache, die stark nach Englisch klang, aber im Grunde genommen keinen Sinn ergab. Er beherrschte diese Methode besonders gut. Auch andere Kollegen griffen im ostdeutschen Bühnenalltag oft und gern darauf zurück – dem Publikum war dies meistens egal. Hauptsache, es klang ein wenig nach großer weiter Welt!

Einige Hintergrundinformationen zu dieser Band erfuhr ich erst viel später. So war mir und meinen Kollegen natürlich 1983 nicht bekannt, dass Peter als informeller Mitarbeiter des staatlichen Sicherheitsdienstes geführt wurde. Und bis heute weiß ich noch nicht genau, welchen Autoren manche unserer Lieder genau zuzuordnen sind. Einige Stücke sind möglicherweise Gemeinschaftskompositionen von Gläser/Herchenbach oder auch Gläser/Dinter/Herchenbach. Viele Texte wurden von Sascha Anderson unter Pseudonym verfasst und auch Peters Frau Elisabeth steuerte unter ihrem Geburtsnamen Pfeifer einiges bei.

Rockmusiker in der DDR lebten im relativen Luxus. So hatten wir in dieser Band drei Techniker – zwei für den Ton und einen Kraftfahrer, der auch auf der Bühne fleißig mit anpackte. Cheftonmeister war Peter Raasch, welcher mittlerweile beim MDR auf eine komfortable Pensionierung hinarbeitet. Zweiter Tonmeister war Gregor Winkler, der auch recht passabel Schlagzeug spielte und deshalb mit diesem Instrument gut vertraut war. Das war für mich ein großer Vorteil, denn mein Schlagzeug stand immer pünktlich zu Konzertbeginn aufgebaut auf der Bühne, ich setzte mich ran, spielte das Konzert und verließ die Bühne wiederum nur mit meiner Stocktasche. Um den Rest kümmerte sich die Crew. Für Dix war dies bis heute die einzige Band, in welcher er diesbezüglich solch paradiesische Arbeitsbedingungen erlebte.

Die Kapellenversammlungen fanden oft in Gläsers großer Hochparterrewohnung in der Lindenthaler Straße 4 statt. In diesem Haus, vor welchem auch unsere Bandfotos aufgenommen wurden, wohnte zu jener Zeit auch noch der Maler Hans Schulze. Cäsars Wohnung sah zeitweise wie ein großes Schulze-Museum aus: an allen verfügbaren Wänden hingen die großformatigen, oft recht düsteren Bilder des damals ziemlich umtriebigen Malermeisters und verliehen der Gründerzeitwohnung noch einen zusätzlichen morbiden Charme.

Bandfoto Cäsars Rockband I aufgenommen 1983 in der Lindenthaler Straße in Leipzig (v.l.n.r. Paul Dinter, Cäsar, Bernd Herchenbach, Wolfram Dix, Knut Steyer - Fotograf unbekannt)

Kommunikationszentrum war die große Küche, wo es immer sehr lebendig zuging. Hier am runden Tisch wurden Honorare ausgezahlt, Unmengen an alkoholischen Getränken vertilgt, Pläne geschmiedet und manchmal auch kontroverse Standpunkte diskutiert. Peters pubertierender Sohn Robert hatte sein Zimmer direkt hinter dieser Küche und oft ersparte er sich den Weg durch die Menge und verließ die Wohnung gleich direkt durchs Fenster.

Auf unseren Reisen durch die Republik waren wir oft in einer aus heutiger Sicht schwer erklärbaren Hochstimmung. Besonders das Trio Herchenbach, Stache und Dix, welches einige Jahre später die Stadt Leipzig beim Jazzfest Münster angemessen vertreten sollte, bildete sich recht viel auf eine latente Art scheinbarer Originalität und Nichtangepasstheit ein. Die Energie dreier recht chaotischer Egos bündelte sich zu einem oft unberechenbaren und schwer zu begreifenden Kollektivwesen. Wenn dann noch der liebe Alkohol mit im Spiel war, gab es oft recht seltsame Auftritte, auch oft neben den Konzerten von Cäsars Rockband.

So zeigten wir nach einigen Wochen immer deutlicher, dass uns die Aufführungen von alten Hits wie „Gelber Mond“. „Apfeltraum“ und „Cäsars Blues“ nicht so recht behagten. Wir hatten damals noch nicht erkannt, welch wichtige Funktion gerade einfach gestrickte Songs in der für eine Band lebenswichtigen Kommunikation mit dem Publikum hatten. So blödelten wir also oft hinter Cäsars Rücken offensiv auf der Bühne herum, setzten uns Plastiktüten auf die Köpfe, vollführten absonderliche Choreographien, und Onkel Erwin wagte auch manchmal den Sprung übers Fenderpiano. Peter bekam meistens nicht mit, was die Verrückten da hinter seinem Rücken trieben. Wenn er es schließlich realisierte, dachte er sich seinen Teil.

Manchmal erschreckten wir auf der Suche nach dem Auftrittsort ahnungslose Bürger, indem wir uns per Auto an sie heranpirschten, so taten, als ob wir nach dem Weg fragen wollten und unmittelbar darauf in ein infernalisches Gebrüll ausbrachen. Dann kurbelten wir schnell die Autofenster hoch, labten uns noch kurz an den entsetzten Gesichtern der Passanten und verließen mit Vollgas den Ort unserer Untat. Zu der durch solchen Quatsch ausgelebten Aggression gesellte sich also stets auch noch ein gewisses Quantum Feigheit…

Zum Ritual unserer Konzerte gehörten von Anfang an lautstarke Sprechchöre des Publikums, welches seine Begeisterung mit der schlicht rhythmisierten Wiederholung des Namens unseres Chefs Ausdruck gab. Da wir sehr oft in sächsischen Gefilden aufspielten, klang das meist so: „Tzöösorr – tzöösorr – tzöösorr…!“ Manchmal waren auch einige Frauen der Bandmitglieder mit im Publikum und machten sich den Spaß, auch mal andere Sprechchöre wie beispielsweise „Öhrwien – öhrwien!“, „Beernt – beernt!“ oder „Wull – frumm, wull – frumm!“ zu skandieren. Dies wurde von manchen Leuten recht verwundert registriert.

Das letzte gemeinsame Konzert in der Originalbesetzung von Cäsars Rockband fand nach meiner Erinnerung in Warnemünde statt. Im Club war es sehr warm und Dix trommelte mit freiem Oberkörper. Das war damals noch nicht so verbreitet, und der Stachel des unbotmäßigen Verhaltens ließ mir diesen Auftritt natürlich besonders pikant erscheinen.

Unsere damalige Musik kam möglicherweise ziemlich authentisch daher, gerade weil in dieser Band sechs Individualisten meist nicht unter einen gemeinsamen Hut gebracht werden konnten. Dadurch kam stets eine Menge Energie von der Bühne runter, welche sogar manchem Konzertmitschnitt noch anzuhören ist.

Cäsars Rockband I, Konzert am 30.10.1983 ("Rocktüte") in der Kongresshalle Leipzig (v.l.n.r. Paul Dinter, Cäsar, Bernd Herchenbach, Wolfram Dix - Fotograf unbekannt)

Einige Anmerkungen zu unseren Titeln:

Steig ein, ein sächsisch rumpelnder Reggae, wurde unser erster (und einziger?) großer Hit. Wir waren damit in vielen Rundfunksendungen erfolgreich und durften dieses Stück u.a. auch in der damals beliebten Fernsehsendung RUND präsentieren. Die näheren Umstände dieses TV-Auftritts beschreibe ich in einer Episode meines Buchs „Die Reise des sächsischen Trommlers“; ISBN 978-3-8391-3601-0.

Aus Oh Oschek… wurde „Oh Mama (hol mich vom Karussell zurück!)“. Der ursprünglich recht aggressive Text, in welchem es hauptsächlich um Peters Konflikt mit „Karussell“ ging, wurde möglicherweise durch eine Intervention des Rundfunklektorats gemildert - Zensur gab es ja offiziell nicht.

Sind endlich alle da? war eine gefällige Easy listening-Nummer, die mir persönlich damals sehr gefiel, weil sie (nicht nur für mich) irgendwie nach Amerika klang. Besonders in Peters „Arbeitsenglisch“ kam das Stück live ziemlich authentisch rüber.

Wolken ziehen hin rockte gut los. Für die Rundfunkproduktion borgte ich mir beim Trommlerkollegen Yogi aus Taucha ein extra fett klingendes Ludwig-Set.

Komm zu mir zurück erzählte eine skurrile Geschichte, und live hatte Peter oft Mühe, den recht umfangreichen Text komplett rüberzubringen.

Im Bauch des Riesen wurde aus aktuell-politischem Anlass veröffentlicht. Andersons Text weist eine geniale Mehrdeutigkeit auf, derentwegen mir die Grundaussage des Liedes aus heutiger Sicht zeitlos erscheint. Komposition und Arrangement heben sich wohltuend vom Ostrock-Einerlei dieser Zeit ab.

Wir hatten auch noch weitere Originalstücke im Repertoire. Seltsamerweise wurden einige Stücke von der Folgebesetzung noch mal aufgenommen und auch veröffentlicht. Diese (Fremd-)Versionen klingen für meinen Geschmack viel zu brav.

© Wolfram Dix 2010

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Wolfram Dix
Jahrgang 1957, Drummer in lokalen Rockbands, Studium der Musik, Jazzer, Tellerwäscher, Bibliothekar, Improvisator, Autor; 1983 Gründungsmitglied bei CÄSARS ROCKBAND, 1989 "Musiker des Jahres" (Jazzblatt Berlin), seit 1989 Dozent an der HMT Leipzig, 1998 und 2010 Veröffentlichung 2er Solo-Alben, 2011 erscheinen der vorläufigen Autobiographie "Die Reise des sächsischen Trommlers" seit 2012 Ensemble Sonus Mundi.

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